Jetzt wird gewählt! Der erste Stadtrat Augsburgs

Mit dem Ende des ersten Weltkriegs im Herbst 1918 und der Revolution im Frühjahr 1919 veränderte sich das politische Gefüge auf allen Ebenen: Das deutsche Kaiserreich wurde von einer konstitutionellen Monarchie zur einer parlamentarischen Demokratie, Bayern vom Königreich zum Freistaat. Auch für Städte und Kommunen brachte dieser Wandel wesentliche Änderungen in der Verwaltung. Auf Landesebene besiegelte die Landtagswahl vom 12. Januar (02. Februar) 1919 die Ablösung der Kammern der Reichsräte und Abgeordneten durch das Gremium des bayerischen Landtags. Auf kommunaler Ebene wurde die Gemeindevertretung neu geregelt.
 
Seit dem Gemeindeedikt von 1818 prägte ein Zweikammernsystem die Verwaltung der Stadt Augsburg. Eine Kammer bestand aus zwei Bürgermeistern, vier rechtskundigen Räten, dem Technischen Baurat, dem Finanzkämmerer sowie zwölf bürgerlichen Räten. Die andere Kammer, das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten, bildeten 36 Vertreter der Bürgerschaft. Im Sommer 1919 wurde dieses Zweikammernsystem aufgehoben und der erste Augsburger Bürgermeister und Stadtrat im Sinne einer echten kommunalen Selbstverwaltung gewählt. 

Die erste öffentliche Bürgermeisterwahl Augsburgs fand am 15. Juni 1919 statt.

Wahlberechtigt waren erstmalig alle bayerischen Staatsangehörigen (Männer und Frauen!), die das 20. Lebensjahr vollendet hatten und seit mindestens sechs Monaten unterbrochen in Augsburg lebten.
 
Insgesamt waren 84.244 Augsburger wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung lag bei 71 %, wobei 54% der abgegebenen Stimmen aus der weiblichen Bevölkerung kamen. Erstmals waren damit auch Frauen wahlberechtigt und machten von ihrem neuen Recht regen Gebrauch. Aber nicht nur das – Frauen waren nun auch wählbar! 

Vier Parteien traten zur Wahl an – die Sozialdemokratische Mehrheitspartei (MSPD), die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD), die Deutsche Demokratische Partei (DDP) und die Bayerische Volkspartei (BVP) – und alle setzten Frauen auf ihre Wahllisten. Insgesamt waren 11 der 180 Stadtratskandidaten 1919 weiblich. Das entspricht einer Quote von 6 %. Tatsächlich gewählt wurden immerhin vier Kandidatinnen: Katharina Ehm (MSPD), Marie Veit (USPD), Fanny Koch (BVP) und Fanny Wittmann (BVP). 

Der neugewählte 50-köpfige Augsburger Stadtrat trat am 28. Juni 1919 zu seiner ersten Sitzung zusammen. Einen Bürgermeister hatte das Gremium jedoch noch nicht vorzuweisen. Die Direktwahl hatte vier Favoriten – Kaspar Deutschenbaur (BVP), Friedrich Ackermann (MSPD), Ernst Niekisch (USPD) und Oskar Weinmann (DDP) – aber keine eindeutige Wahlentscheidung für einen Bürgermeister hervorgebracht. Nach Artikel 8 des neuen Wahlgesetzes war es nun Aufgabe des Stadtrats sich mit absoluter Mehrheit auf eine der Kandidaten zu einigen. In seiner ersten Sitzung wählte der Stadtrat Augsburg den bisherigen Stadtrechtsrat Kaspar Deutschenbaur (1864–1950) von der Bayerischen Volkspartei zum ersten neuzeitlichen Bürgermeister Augsburgs. Zweiter Bürgermeister wurde der Sozialdemokrat Friedrich Ackermann (1876–1949).
 
Die mit der ersten Sitzung des Augsburger Stadtrats am 28. Juni 1919 besiegelte demokratische Zeitenwende jährt sich in diesem Sommer zum 100. Mal. Zahlreiche im Stadtarchiv Augsburg überlieferte Quellen belegen den Wechsel des politischen Systems auf kommunaler Ebene und beleuchten die Tätigkeiten des Stadtrats ab seiner Geburtsstunde.