Zum 100. Todestag von Friedrich Hessing (* 19.06.1838, † 16.03.1918)

Hessing droht der Stadt Augsburg mit Verlegung der orthopädischen Klinik nach München!

Mit dieser heute unvorstellbaren Drohung konfrontierte Friedrich Hessing die Stadt Augsburg im Mai 1869. Was war geschehen? Akten der Stadtverwaltung Augsburg beleuchten den Hintergrund.

Bevor Johann Friedrich Hessing (1838 – 1918), Gründer der gleichnamigen orthopädischen Klinik, zu seiner medizinischen Berufung fand, hatte er eine abgebrochene Lehre als Gärtner, eine Ausbildung als Schreinergeselle und eine Weiterbildung zum Orgel- und Harmoniumbauer hinter sich. Nach der Zusatzausbildung bei einem Orgelbauer in Oettingen führte ihn in den frühen 1860er Jahren der Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber –  Pianoforte-Fabrikant Max Schramm – nach Augsburg.

Als die Stadt Augsburg Hessing am 10. November 1866 die Gewerbelizenz als Orgelbauer erteilte, hatte er jedoch bereits seine Leidenschaft für ein anderes Berufsfeld entdeckt: Die Orthopädie.

Schon im Dezember 1867 bezeichnet die Stadt Augsburg Hessing als hochgelobten Experten für die „Anfertigung orthopädischer Maschinen und künstlicher Gliedmassen“. Finanzielle Unterstützung bei der Ausweitung dieses Geschäftszweigs sowie bei der Errichtung einer Heilanstalt verweigert die Stadt ihm dennoch. Erst auf Anweisung des königlichen Staatsministeriums des Inneren wurde Hessing im September 1868 die Errichtung einer orthopädischen Heilanstalt genehmigt.

Die im Oktober 1868 eröffnete orthopädische Praxis im Hause des Badebesitzers Johann Eggensberger in Lit. J 240 vor dem Jakobertor bot schon wenige Monate später nicht mehr genug Platz für die zahlreichen Patienten. Hessing wollte sich vergrößern und suchte daher nach geeigneten Bauplätzen. Wichtige Standortfaktoren waren für ihn dabei gesunde Luft und eine günstige Verkehrsanbindung.

Mit deutlichen Worten verlangte er am 24. Februar 1869 in einem Schreiben an den Augsburger Stadtmagistrat: Sollte ihm von Seite der Stadt zur Realisierung nicht hilfreich die Hand geboten werden, würde er sein Institut nach München verlegen. Er forderte die kostenlose, zumindest aber sehr preisgünstige Überlassung von ca. 1 Hektar zentrumsnahem Baugrund. Auch ein konkretes Areal schwebte ihm dabei vor: Das zwischen den beiden Erzberger´schen Gärten an der Gögginger Landstraße gegenüber der Artilleriekaserne gelegene Grundstück. Die Stadt bot Hessing daraufhin tatsächlich zwei Grundstücke auf der rückwärtigen Seite dieses Gartengrunds an. Wegen der fehlenden Straßenanbindung entsprachen diese jedoch nicht Hessings Anforderungen. Als nächstes fasste Hessing ein Areal vor dem Göggingertor beim Schnurbein´schen Gartengut – heute im Dreieck Königsplatz, Bahnhofstraße, Halderstraße – ins Auge. Auch diesen Vorschlag konnte er beim Stadtmagistrat nicht durchsetzen und kündigte daher am 24. Mai 1869 abermals die Verlegung seiner orthopädischen Anstalt nach München – zumindest aber nach Pfersee oder Göggingen – an.

Ein Schriftwechsel zwischen dem Bezirksamt Göggingen und der Stadt Augsburg belegt, dass Hessing schon wenige Monate später den Gögginger Immobilienmarkt sondierte. Nachdem er zunächst in dem ehemaligen Landgerichtsgebäude in Göggingen unterkam, wurde der erste Neubau der „Hessing´schen Ökonomie- und Heilanstalt“ ab 1886 nach den Plänen des Architekten Jean Keller realisiert.

Heute zählt die inzwischen als „Hessing Klinik“ bekannte orthopädischen Heilanstalt zu den größten orthopädischen Fachkliniken Europas und die Stadt Augsburg kann sich glücklich schätzen, dass Friedrich Hessing die Ankündigung, den Sitz seiner medizinischen Einrichtung nach München zu verlegen, nicht wahrmachte, sondern nur in das inzwischen eingemeindete Augsburger Umland, nach Göggingen, gezogen ist.