Ar-Ramtha – Portrait einer großgewordenen Stadt

Ar-Ramtha ist mit knapp 180.000 Einwohnern Jordaniens elftgrößte Stadt und Augsburgs angehende Projektpartnerkommune. Es ist auch eine Stadt, die von den Folgen des syrischen Bürgerkrieges unmittelbar betroffen ist und in den zurückliegenden Jahren knapp 80.000 geflüchtete Menschen aufgenommen hat. Allen voran ist Ramtha aber eines: vielfältig.

Ar-Ramtha ist eine Grenzstadt. Die Stadt liegt im Norden Jordaniens, direkt an der Grenze zu Syrien. Fußläufig erreicht man den Grenzzaun zu Syrien, in ca. 20 Fahrminuten das 18 km entfernte Irbid und in ca. 90 Fahrminuten die 90 km entfernte Hauptstadt Amman. Ar-Ramtha liegt auf einem Plateau, ca. 550 Meter über dem Meeresspiegel. Die Umgebung ist karstig und flach und der Horizont gesäumt von kleinen Hügeln mit Olivenhainen. Der Name der Stadt geht auf die Wüstenpflanze Al-Ramath zurück, die für das karstige Landschaftsbild sehr charakteristisch ist.

Ar-Ramtha kann verschieden geschrieben werden. Der arabische Name der Stadt الرُّمثا‎ kann im lateinischen Schriftsystem unterschiedlich geschrieben werden. Al-Ramtha, Ar-Ramtha, Ar-Romtha – all diese Schreibweisen sind Ergebnis unterschiedlicher Transkriptionsweisen des Ortsnamens vom arabischen in das lateinische Alphabet. In Augsburg haben wir uns für die Version Ar-Ramtha entschieden, die der tatsächlichen Aussprache im Arabischen sehr nahe ist, auf dem Ortsschild der Stadt wiedergegeben ist und uns zudem vom Projektpartner empfohlen wurde. Wissenswert ist zudem, dass das „th“ in „Ramtha“ wie ein englisches „th“ stimmlos gelispelt wird, wie englisch theft (Dieb).

Ar-Ramtha ist eine Handelsstadt. Schon zu Zeiten des Römischen und Osmanischen Reiches galt Ar-Ramtha, an der Verbindungsstraße auf die arabische Halbinsel gelegen, als Handelsstadt. Und auch heute ist der Handel die prägende wirtschaftliche Aktivität in der Stadt: Viele Familienunternehmen arbeiten im grenzüberschreitenden Warenverkehr von und nach Syrien. Dass einige ältere Menschen in Ar-Ramtha gebrochen Deutsch sprechen, liegt an der Popularität deutscher Fahrzeuge im vergangenen Jahrtausend, als viele v.a. junge Männer Fahrzeuge direkt aus Deutschland überführten. Noch heute sieht man im Straßenbild Ar-Ramthas alte Fahrzeuge, die hierzulande als Oldtimer einen schützenswerten Status haben.

Ar-Ramtha ist eine Universitätsstadt. Im Einzugsgebiet der Kommune ist die staatliche Jordan University of Science and Technology (JUST) – jordanische Universität für Wissenschaft und Technologie beheimatet, die landesweit zu den renommiertesten und mit 25.000 Studenten zu den großen Universitäten zählt. Das ebenfalls dort ansässige Universitätsklinikum nimmt aktuell während der Corona-Pandemie als zentrales Test- und Isolationskrankenhaus eine besondere Rolle im Norden des Landes ein.

Ar-Ramtha ist Erstligastadt. Al-Ramtha SC spielt in der höchsten Jordanischen Liga (Jordanina Pro League), die der Verein in der vergangenen Saison 2020 auf dem dritten von zwölf Plätzen abgeschlossen hat. Die größten Erfolge des Vereins liegen etwas zurück, als man in den 80er und 90er Jahren je zwei Mal die nationale Meisterschaft und Pokalwettbewerb gewonnen hat. Dennoch wird seitdem konstant erstklassig gespielt, sodass der Klub von der Stadt nicht mehr wegzudenken ist. Zudem hat der Ar-Ramtha SC 2022 erfolgreich die Meisterschaft gewonnen.

Ar-Ramtha ist vom syrischen Bürgerkrieg stark betroffen. Nichts hat die jüngste Vergangenheit so geprägt wie der Bürgerkrieg im benachbarten Syrien. Gleich hinter dem Grenzzaun im südsyrischen Deraa, nahmen die Aufstände gegen Baschar al-Assad im März 2011 ihren Ausgang, die zu landesweiten Protesten und letzten Endes zum Ausbruch des Bürgerkrieges geführt haben. Es gab eine Zeit in Ar-Ramtha, in der man die Bombeneinschläge auf der anderen Seite des Zauns durchweg gehört hat. Seitdem sind viele Menschen aus Syrien aus Angst um Ihr Leben geflohen und nach Ar-Ramtha gekommen. Dort sind sie größtenteils in privat organisierten Wohnungen und nicht wie oftmals angenommen in den offiziellen Camps untergekommen. Heute ist Ar-Ramtha die jordanische Stadt, die proportional am meisten der geflüchteten Menschen aus Syrien aufgenommen hat. Seit 2011 hat sich die Bevölkerung von 95.000 auf nahezu 180.000 verdoppelt. Zwar konzentrieren sich heute die Kämpfe in anderen Teilen Syriens, doch ist die Grenze weiterhin geschlossen. Damit ist für viele Familien die Basis für den Lebensunterhalt – der Import und Export von Gütern von und nach Syrien – weggebrochen. Gleichzeitig ist durch den Zuzug vieler geflüchteter Menschen privater Wohnraum knapp und überteuert sowie das Angebot an Arbeitskräften stark überschüssig; auch viele JordanierInnen finden aktuell nur schwer Arbeit.

Ar-Ramtha ist eine integrative Stadt. Auch wenn die Aufnahme von derart vielen Menschen Einschränkungen für die lokale Bevölkerung bedeutet, ist der soziale Frieden grundsätzlich nicht gefährdet. Zum einen hat die Stadtverwaltung viele integrative Projekte durchgeführt, in denen sich die lokale Bevölkerung und die Geflüchteten austauschen. Beispielsweise wurde ein Marktplatz eingeführt, in der jordanische und syrische Frauen gemeinsam produzierte Waren anbieten. Zum anderen liegt die Empathie für die geflohenen Menschen an der eigenen Fluchterfahrung vieler jordanischer Familien: Nach der Gründung Israels 1948 sind zehntausende Palästinenser über den Jordan geflohen, mit der Besetzung des Westjordanlandes 1967 kam eine noch größere Welle. Daher antworten heute viele Menschen auf die Frage Ihrer Herkunft mit „min asl falastini" – ursprünglich aus Palästina.

Ar-Ramtha ist Augsburgs angehende Partnerstadt. Aktuell bahnt sich eine Projektpartnerschaft mit Ar-Ramtha an. Ein erstes Kooperationsfeld ist wird im Bereich der Abfallwirtschaft liegen; weitere Informationen zu den Projektaktivitäten finden Sie hier. Ar-Ramtha ist hierzulande noch eine weitestgehend unbekannte Stadt, auch wenn sie die elftgrößte jordanische Stadt ist und mittlerweile als Großstadt gilt. Wer den Stadtnamen googelt und des Arabischen nicht mächtig ist, findet nur wenig verwertbare Informationen. Das soll sich zunehmend ändern: Dieses Portrait soll sukzessive erweitert werden, sodass ein möglichst vollständiges und vielfältiges Bild unseres angehenden Partners vermittelt werden kann. Zudem haben wir diesen Artikel ins Englische übersetzt, damit unsere angehende Projektpartnerkommune weiß, wie sie hierzulande vorgestellt wird und diese Darstellung berichtigen und ergänzen kann.
 
Nachfolgend finden Sie eine Fotogalerie von Bildern aus Ar-Ramtha, die größtenteils während der letzten Delegationsreise im März 2021 entstanden sind: