Bürgerbeirat Corona: Gegen hohe Inzidenzen hilft vor allem Aufklärung

14.05.2021 08:33 | Umwelt & Soziales Bürgerservice & Rathaus

In seiner sechsten digitalen Sitzung beschäftigte sich der Bürgerbeirat Corona neben Fragen zum öffentlichen Nahverkehr und zur Impfthematik vor allem auch mit den Ursachen für das hohe Infektionsgeschehen in der Stadt. Im Chat waren rund 150 Bürgerinnen und Bürger eingeloggt. Als Gast zugeschaltet war Bürgerbeauftragter Michael Hofmann (MdL). Er will unter anderem das Augsburger Konzept zur kontrollierten Öffnung von Jugendhäusern bei der Staatsregierung anschieben.

Auch die Situation im öffentlichen Personennahverkehr war Thema in der jüngsten Sitzung des Bürgerbeirats. Foto: Thomas Hosemann/Stadt Augsburg


Wie sehr Augsburg mit dem Bürgerbeirat Corona eine Vorreiterrolle übernommen hat, bestätigte einmal mehr der Bayerische Bürgerbeauftragte und Landtagsabgeordnete Michale Hofmann. „Ich kann Ihnen zur Idee des Bürgerbeirats nur gratulieren, der inzwischen viele Nachahmer gefunden hat. Es ist ein sehr gelungenes Beispiel dafür, sich einzubringen und das Leben der Menschen besser zu machen.“ Oberbürgermeisterin Eva Weber spielte den Ball zurück und hob ihrerseits die Rolle des Bürgerbeauftragten hervor. „Es ist gut, dass Sie da sind, weil vor Ort viel diskutiert wird, was nicht auf kommunaler, sondern auf Landesebene in München entschieden werden kann.“

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„Arbeitsaufträge“ für den Bürgerbeauftragten

In der Tat gaben die Mitglieder des Bürgerbeirats dem Bayerischen Bürgerbeauftragten einiges an „Arbeitsaufträgen“ mit. Als nicht weisungsgebundener Abgeordneter hat er die Aufgabe, die Bayerische Staatsregierung in Bürgerfragen und –anliegen zu beraten. Auch als Gesprächspartner war Hofmann gefragt. So wollte zum Beispiel Richard Hofmann (zufällige Namensgleichheit) wissen, warum die Staatsregierung einerseits Lockerungen diskutiere, während gleichzeitig darauf verwiesen werde, dass die Regelungen der „Notbremse“ auch über den Juni hinaus verlängert werden könnten. „Das sind zwei Botschaften, die verwirren“, hieß es. 

Dazu führte Bürgerbeauftragter Michael Hofmann aus, dass Bayern beim Infektionsgeschehen ein gespaltenes Bild abgebe. „Das ist eine riesige Gemengelage und sehr schwer unter einen Hut zu bringen.“ Falsche Hoffnungen zu wecken wäre sicher nicht richtig. „Wir müssen damit rechnen, dass manches eben länger dauert. Das müssen wir aushalten. Es ist ein Balanceakt“, sagte Hofmann. 

Intensive Diskussion um Augsburger Inzidenzwerte

Gezielt wurde nach den Gründen für die unterschiedlichen Inzidenzwerte in Städten und Landkreisen gefragt. Woran das liege, wollte Beiratsmitglied Roland Simon wissen und regte an, diese Frage nach der Pandemie gründlich zu erforschen und dafür auch Geld in die Hand zu nehmen. Beiratsmitglied Carmen Frauenholz fragte auf den Punkt: Was mich beschäftigt ist, warum wir so hohe Inzidenzwerte in Augsburg haben. 

Bürgerbeauftragter Michael Hofmann sprach davon, dass die Nachverfolgung von Kontaktpersonen für die Gesundheitsämter oft schwierig sei. „Viele wollen es nicht sagen. Manche können es nicht sagen. Aber es stimmt, wir müssen diese Entwicklungen analysieren - vor allem auch mit Blick auf die bayerischen Grenzregionen - und die Ergebnisse aufbereiten. Denn politisch Verantwortliche müssten ihr Vorgehen in der Pandemie vor den Bürgerinnen und Bürgern auch rechtfertigen können. 

Statistisch signifikant: Haushaltsgröße und Berufsabschluss

Oberbürgermeisterin Eva Weber ging auf die Augsburger Situation ein und machte deutlich, dass statistische Erhebungen, egal ob für Stadtteile oder für Postleitzahlenbereiche, immer interpretiert und eingeordnet werden müssten. Die Stadt Augsburg tue dies seit Beginn der Pandemie. So sei etwa statistisch signifikant, wieviele Personen in einem Haushalt lebten – unabhängig von der Wohnflächengröße. „Je mehr Menschen unter einem Dach beisammen wohnen, desto höher ist die Infektionsgefahr.“ Signifikant sei außerdem, ob jemand einen Berufsabschluss habe oder nicht. „Oft arbeiten diese Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, wo Abstand halten nicht möglich ist, von Homeoffice ganz zu schweigen. „Das und eben nicht ein Migrationshintergrund allein sind die Treiber der Inzidenzen“, betonte Eva Weber. 

Aufklärung in Stadtvierteln mit besonderen Herausforderungen

Mit einer breit aufgestellten Informationskampagne betreibt die Stadt gezielt in Stadtvierteln mit besonderen Hausforderungen intensive Aufklärungsarbeit zum Testen und das breite Angebot an Schnelltestmöglichkeiten im Stadtgebiet, zum Impfen und zu den geltenden Corona-Regeln. In Kürzte ist das Corona- Info-Mobil samt Testteam unterwegs. Hausarztpraxen werden mit Infomaterial bestückt und eine Kampagne aufgelegt, der auch bekannte Augsburger „Influencer“ ihr Gesicht geben. Flyer und Plakate gehören ebenfalls mit dazu. Ein wichtiger Teil der Aufklärungsarbeit ist vor allem die Netzwerkarbeit der Stadt mit Vertreterinnen und Vertretern migrantischer Vereine sowie mit Imamen, die jetzt zum Testen und Impfen aufrufen.

Geistliche Herren als Aufklärer fürs Testen und Impfen

Im Bürgerbeirat stieß dies auf sehr positive Resonanz und regte zur Idee an, auch Pfarrer und Priester der christlichen Kirchen anzusprechen und als Multiplikatoren fürs Impfen zu gewinnen. „Die Idee ist gut. Wir greifen sie auf“, so Eva Weber. Aus dem Beirat kam außerdem die Anregung, dass das Gerücht, Impfen mache unfruchtbar, dringend aufgeklärt werden müsse. Zweite Bürgermeisterin und Referentin für Bildung und Migration, Martina Wild, erläuterte dazu: „Wir haben auf unserer Homepage auch eine Seite zum Thema ‚Mythen ums Impfen‘ gestellt. Sie ist auch in der App Integreat integriert. Den Erziehern und Erzieherinnen in unseren Kitas haben wir das Thema ebenfalls weitergegeben.“

Fragen nach der Impf-Priorisierung

Angeregt diskutierte der Bürgerbeirat Corona auch Fragen zur Impfregistrierung und Priorisierung. Gerade für ein aktives Vereinsleben, so Dr. Margaretha Hackermeier, sei es wichtig, dass nicht nur Geimpfte nach Öffnungen wieder zusammenkommen könnten. Da müssten Möglichkeiten geschaffen werden. Gefragt wurde auch nach dem Auswalverfahren innerhalb einer Prioritätsgruppe. OB Eva Weber klärte auf, dass im Impfzentrum dafür ein Algorithmus hinterlegt sei. Derzeit seien rund 15.000 Personen in Prio 3 und etwa 40.000 in Prio 4 registriert. Im Übrigen würden Geimpfte keine Privilegien, sondern ihre Grundrechte zurückerhalten.
Dazu merkte Bürgerbeauftragte Michael Hofmann an, dass in Kürze die Priorisierung bei Hausärzten aufgehoben werden. „Die Mediziner wissen am besten, wer versorgt werden muss. Wir sind froh, dass sich viele Personen impfen lassen wollen. Uns bereitet allerdings Sorgen, dass Impfstoff noch immer nicht in ausreichender Menge vorhanden ist.“

Stadt wünscht Ergebnisse für Lolli-Tests

Aufklärung wurde auch zum Thema Testen bei Kindern unter 12 Jahren gefordert. Dabei handle es sich immerhin um große Gruppen in Schulen, die infektionsgefährdet sind. An die Adresse des Bürgerbeauftragten gewandt wies OB Eva Weber darauf hin, dass die Stadt Augsburg ein Konzept für andere Testverfahren bei Kindern als den Nasenabstrich ausgearbeitet habe und dieses auch genehmigt bekommen möchte. „Wir hätten gerne ein Ergebnis zu Lolli- und Spucktests. Aber das liegt nicht an uns, sondern am Gesundheitsministerium.“ Michael Hofmann betonte, dass es Risiken im Testverfahren geben und die Frage nach der Validität noch nicht geklärt sei. Er hoffe auf zielführende Ergebnisse.

Unterstützung vom Bürgerbeauftragten für das Thema „Lüften“

Vor allem hofft der Bürgerbeauftragte, dass nach den Sommerferien auch Schulkinder geimpft werden können. Unabhängig von Präsenz- oder Wechselunterricht werde das Abstand halten auch bei niedrigen Inzidenzwerden erforderlich sein. Der Luftaustausch in den Klassenzimmern sei ebenfalls ein zentrales Thema. 
Dieses wird im Bürgerbeirat nicht zum ersten Mal diskutiert. Leider werde das Förderprogramm des Freistaats von Kommunen kaum in Anspruch genommen, weil es nicht gut umsetzbar sei. „Es wäre gut, wenn es einen Austausch mit den kommunalen Spitzen zur Frage von Luftfiltern geben würde. Bürgermeisterin Martina Wild ergänzte, dass zentrale Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung bei baulichen Anlagen auch aus Klimaschutzgründen die bessere Alternative wären. Bürgerbeauftragter Hofmann bat um die Unterlagen mit der Bemerkung: „Zuviel Bürokratie war noch nie gut.“

Charmeoffensive für den öffentlichen Nahverkehr

Luftaustausch und Abstand halten in Bus und Tram sind unter Corona-Bedingungen auch zentrale Fragen im öffentlichen Nahverkehr. Das Thema war in der April-Sitzung des Bürgerbeirats kontrovers diskutiert worden. Wie Nahverkehrsreferent Dr. Wolfgang Hübschle ausführte, habe der öffentliche Nahverkehr hohe Fahrgastverluste zu verzeichnen. „Das liegt aber nicht nur am Homeoffice, sondern an einem subjektiven Unsicherheitsgefühl, das mit dem Abstand halten zu tun hat.“ Heute wisse man aufgrund von Studien zur Aerosol- und Strömungsforschung, dass der öffentliche Nahverkehr diesbezüglich sicher sei. „Wir wollen diese Erkenntnisse mit einer Charmeoffensive zusammen mit unseren Stadtwerken zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs nutzen“, so Hübschle. Allerdings gebe es auch Verhaltensregeln, die eingehalten werden müssten: nicht drängeln, hinsetzen, Maske tragen. Nur Einzelsitze anzubieten sei jedoch schwierig. Durch das Zusteigen würden sich zuviele Fahrgäste im Stehbereich aufhalten. Das sei aus Gründen Infektionsschutzes nicht gewollt. Leider, so Carmen Frauenholz, gebe es nicht wenige Leute, die nicht einsehen, dass sie Abstand halten müssen. Das sei auch oft an der Kasse im Supermarkt so. 

Perspektive für Jugendliche durch Öffnung von Jugendhäusern

Wie es mit einer Perspektive die kommenden Monate für die Jugend aussehe, wollte Beiratsmitglied Lukas Kasinger wissen. „Die Jugend muss in den Blick genommen werden.“ Dem konnte Sozialreferent Martin Schenkelberg nur rundum zustimmen. „Die Oberbürgermeisterin hat dem Freistaat ein Konzept für Öffnungen vorgelegt. Ein Schwerpunkt dabei sind Jugendhäuser.“ Dies sei auch mit dem Dreiklang Testen, digitale Kontaktpersonennachverfolgung und Hygienekonzept vertretbar. „Auch eine Öffnung der Jugendverbandsarbeit und von Gruppenstunden ist unerlässlich“, so Schenkelberg. Oberbürgermeisterin Eva Weber sprach von „Ratlosigkeit, weil wir sehen, dass sich Jugendliche nicht mehr an Regeln halten. Die Rückmeldungen vom Stadtjugendring sind erschreckend. Das ist eine Generation, die leidet.“ Es sei dringend geboten. Öffnungsperspektiven konkreter zu machen. Es sei allemal besser, wenn sich Jugendliche kontrolliert, also getestet und unter pädagogischer Aufsicht, im Jugendhaus treffen, also irgendwo sonst.“ Bürgerbeauftragter Michael Hofmann bot auch hier seine Unterstützung an und bat um das Öffnungskonzept. „Es muss Möglichkeiten geben, dass sich junge Menschen im sicheren Raum aufhalten können. Und meine Aufgabe ist es, die Staatsregierung zu beraten.“

Nächste Sitzung am Mittwoch, 16. Juni

Sie frage sich, so OB Eva Weber mit Blick auf die nächste Sitzung des Bürgerbeirats Corona am Mittwoch, 16. Juni, ob dann vielleicht die Biergärten wieder offen haben? Oder ein Theater? „Ich hoffe jedenfalls, dass die Coronamüdigkeit bald ein Ende haben wird. Umso wichtiger ist mir dieser Austausch, der uns interessante und gute Anregungen gibt“, sagte die Stadtchefin und dankte den Mitgliedern für eine „offene und spritzige Runde mit viel Interaktion.“ (erz)