Wie der „Gelati-Mann“ nach Augsburg kam

Ernesto Gei – Augsburgs erster italienischer Eismacher

Augsburg – die nördlichste Stadt Italiens? Auf den ersten Blick scheint diese Aussage nicht mehr als eine Erfindung der Tourismusbranche zu sein. Schlendert man aber an einem lauen Sommerabend vorbei an den Renaissancebauten Elias Holls und entlang der Kanäle durch die engen Gassen des Lechviertels oder genießt man ein Glas Wein im Damenhof, dann liegt auf einmal doch ein Hauch von italienischem Lebensgefühl in der Luft der Fuggerstadt. Und was wäre Augsburg an einem heißen Sommertag ohne seine italienischen Eisdielen? Wie der erste „Gelatiere“ Ernesto Gei in Augsburg Fuß fasste, darüber geben bislang unbekannte Dokumente des Stadtarchivs Aufschluss.

Geboren am 21. Juli 1872 in Valle di Cadore (Provinz Belluno) kam Ernesto Gei mit Eltern und Geschwistern schon als Kind nach Süddeutschland. Sein Vater hatte wie zehntausende Norditaliener in dieser Zeit seine Heimat, ein idyllisches Bergdorf in den Dolomiten, mangels Arbeit verlassen. Im November 1887 zog die Familie nach Augsburg. Mit dem Verkauf von Esskastanien, Nüssen und Orangen verdienten sich die italienischen Zuwanderer der ersten Stunde in den Wintermonaten ihr Brot. Die Sommer hingegen verbrachten sie in ihrem Heimatdorf.

Neben der Mithilfe im elterlichen Handel verdingte sich Ernesto in jungen Jahren bei Landsleuten in anderen großen deutschen Städten. Vermutlich kam er dort mit einem ganz neuen Geschäftsmodell in Berührung: Dem Verkauf von Speiseeis. Die Erfindung von Eis- und Kältemaschinen hatte die Herstellung der italienischen Spezialität im 19. Jahrhundert stark vereinfacht. So waren um 1890 die ersten italienischen „Eispioniere“ mit ihren Handwägen ins Deutsche Kaiserreich gezogen. Vom Pioniergeist gepackt startete Ernesto mit Bruder Umberto 1893 in Köln die ersten Verkaufsversuche – mit Erfolg. Als er nach seinen „Wanderjahren“ zur Familie nach Augsburg zurückkehrte, beantragte er auch dort beim Stadtmagistrat die Erlaubnis zum Eisverkauf im „Umherziehen“. Die Genehmigung in der Tasche meldete Ernesto Gei am 23. April 1895 seinen Verkauf von Speise-Eis im Stadtbezirke an – und schrieb damit als erster italienischer Eismacher Stadtgeschichte.

Frucht- und Sahneeis war den Augsburgern zu diesem Zeitpunkt nicht völlig unbekannt, konnte man es doch auch bei den Konditoren der Stadt recht häufig im Sortiment finden. Für die einfache Arbeiterschicht war diese Spezialität jedoch kaum erschwinglich. Am Eiswagen von Gei hingegen war die Kugel Eis schon für 10 Pfennig zu haben. Davon abgesehen dürfte das italienische Eis auch geschmacklich überzeugt haben, bescheinigte ihm die Lebensmittelkontrolle doch Ordnung, Sauberkeit sowie beste Qualität der Warenvorräte. An den Verkaufsplätzen vor der Stadtmetzg, in der Fugger- und Annastraße erfreuten sich die Eiswägen Ernesto Geis bald großer Beliebtheit. Im Juni 1900 reiste Gei aus unbekannten Gründen, vermutlich aber zu Verwandten, nach Mendoza (Argentinien), kam aber schon ein Jahr später wieder nach Augsburg zurück. Dort führte er auch den Obsthandel des Vaters weiter, wenn auch Pläne zur Neugestaltung seiner Bude am Königsplatz in den Jahren 1904/05 aufgrund der damaligen Neugestaltung des Areals nicht genehmigt wurden.

Nicht jeder gönnte Ernesto Gei den Erfolg. Die Konditoren liefen Sturm gegen die unverhoffte Konkurrenz auf Augsburgs Straßen. Und auch einige seiner Landsleute versuchten Gei – letztlich ohne durchschlagende Wirkung – mit falschen Anschuldigungen über angebliche Hygieneskandale in die Suppe zu spucken. Im Jahr 1905 übergab Ernesto Gei den Betrieb an seinen Landsmann Vittorio Toscani. 1910 wurde der mobile Eisverkauf auf Drängen der Konditoren-Innungen verboten und in die Läden und Eisdielen zurückgedrängt. Spätestens mit dem gegnerischen Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg im Mai 1915 endete der erste Akt italienischer Zuwanderung nach Deutschland und damit auch der Genuss von italienischem Eis – vorerst: Mit den italienischen Gastarbeitern kam seit Mitte der 1950er Jahre auch der „Gelati-Mann“ zurück nach Augsburg.

In den Dolomitentälern ist der Stolz über das Erbe der ersten Eismacher bis heute im kollektiven Gedächtnis verankert. In Augsburg hingegen sind die ersten Anfänge der Eiskultur längst vergessen. Und so bleibt auch in der Biografie des Ernesto Gei eine große Lücke: Nach der Geschäftsübergabe 1905 verläuft sein weiterer Lebensweg (noch) völlig im Dunklen. Die Liebe zum Eis aber ist bis heute ungebrochen in Augsburg – der vielleicht nördlichsten Stadt Italiens.

Das Stadtarchiv dankt Herrn Ing. Francesco Mazzorana und Herrn Luciano Del Favero herzlich für die zur Verfügung gestellten Fotografien aus Familienbesitz.