1.1 Ein „Abenthewer“ im Wasserturm

Wenn alte Gemäuer sprechen könnten - wie viele Geschichten von Wasserknappheit und Hochwasserfluten, von Brandkatastrophen und findigen Brunnenmeistern würden wohl die Augsburger Wassertürme erzählen? Das folgende, im wahrsten Sinne des Wortes „wilde“ Abenteuer des Brunnenmeisters Anton Hilbrant würde sicher nicht fehlen.

Groß Lob und Preiß ich billich hie / verjehen muss in bester Zier / dem Wasserturm der schönen Kunst / drob menniglich trägt Lieb und Gunst. / dran dieser Statt für andern allen / ein ewig Lob ist hoch erschallen. / daß Wasser aus eim tieffen Born / hoch uber sich in einem Thurn hinauffgeführt, da es zugleich / ist ausgetheilt mit Röhren reich. / Daß es so in der ganzen Statt / sein Lauff an allen Enden hat.

So preist der Breslauer Gelehrte Salomon Frenzel von Friedenthal („Frencelius“, 1561–1605), hier in einer zeitgenössischen Übersetzung aus dem Lateinischen von Engelbrecht Werlich, die Augsburger Wassertürme im Jahr 1585. Und das hat seinen guten Grund. Die Trennung von Trinkwasser aus dem klaren Wasser des Brunnenbachs vom Gebrauchswasser des Lochbachs war im ausgehenden Mittelalter in Augsburg ebenso zukunftsweisend wie die ausgereifte Technik, Wasser mit Wasser zu heben, um die Bürger der Stadt mit frischem Leitungswasser zu versorgen. (c) Eine Schlüsselrolle in dieser Frühzeit des Augsburger Wassermanagements kam den Werk- oder Brunnenmeistern zu. Anton Hilbrant, seit 1551 für die Reichsstadt tätig, war einer von ihnen. (b)

Am frühen Morgen des 10. Dezember 1563 sind es nicht die üblichen Wassergeräusche der Pumpanlagen des Wasserturms, welche den Werkmeister in der Schlafkammer des Brunnenmeisterhauses aus dem Schlaf reißen. Als dieser den für ihn ungewöhnlichen Grunzlauten folgt, steht er plötzlich vor einem Ungeheuer. Der noch halb schlaftrunkene Hilbrant sieht sich schon Auge in Auge mit Luzifer persönlich! Tatsächlich aber hatte sich ein Wildschwein in den Brunnenbach verirrt und wurde so bis in die Kanäle der Stadt getrieben. Auf unbekannte Weise hatte es das Tier schließlich geschafft – vorbei an den Fanggittern des Aquädukts – in den großen Wasserturm zu gelangen. Aus der Schockstarre erwacht kann Hilbrant gerade noch eine Axt ergreifen und erlegt den ungebetenen Gast in heldenhafter Weise.

So hat sich die Geschichte jedenfalls nach den Erzählungen unseres Dichters Salomon Frencelius zugetragen, welcher das „Abenthewer“ Hilbrants in Gedichtform überliefert hat. Im großen Wasserturm erinnert noch heute eine Gedenktafel „zu ewiger Gedechtnuß“ an diese denkwürdige Begebenheit. (a)

Die „Story“ blieb übrigens kein Einzelfall. 1592 war es ein Rehbock, der sich in den Wasserturm verirrte. Auch am 12. September 1766 um 9 Uhr vormittags fand eine 85 Pfund schwere Wildsau den Wasserweg über das Hornwerk beim Roten Tor und wurde in die Brunnentürme vor den eisernen Rechen gespült. Der damalige Brunnenmeister Caspar Walter (1701–1769) war jedoch weit weniger mutig: Er schickte nach dem Stadtjäger Johann Georg Hek, der die Sau um halb 10 Uhr fachmännisch erlegte.

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